Zum Inhalt springen

Der VCP in Kirche, Gemeinde und Religion: „Der Verband ist doch egal …”

Das Zinzendorfhaus in Neudietendorf

,,…wir sind Pfadfinder, darauf kommt’s an!” So sehen das jedenfalls die Ranger/Rover ausNeudietendorf in Thüringen, wenn es um das Thema „C” imVCP geht.

Mit der Kirche hatten ja die meisten DDR-Bürger nicht viel im Sinn, versichern mir die Jungs. Aber trotzdem gab es da die sogenannte „Christenlehre”. Man hörte Geschichten aus der Bibel, es gab Aktionen wie „Brot für die Welt”, und natürlich wurde auch gesungen. Sebastian hat schon bei seinem ersten Besuch derartig Kopfschmerzen vom Singen bekommen, daß er dort nie wieder hingehen wollte. „Überhaupt bin ich von Grund auf Atheist”, sagt Sebastian.
Wie paßt das mit dem VCP zusammen? Nun, die VCPer waren einfach die Schnellsten nach der Wende, der Landesverband Hessen schlug 1991 in Neudietendorf für einige Tage sein Lager auf und weckte so in einigen Jugendlichen im Dorf die Neugier an den Pfadfindern. Der Leiter der Christenlehre sprach außerdem die Jungen an, ob sie nicht mal Lust hätten, in die neue Gruppe zu kommen. „Wir sind dann hingegangen und haben gemerkt, daß es uns Spaß macht’, erzählen die Pfadis. So sind sie dabeigeblieben und halfen, den „Stamm Drei Gleichen” aufzubauen. Inzwischen sind die Erwachsenen nicht mehr dabei, und die Jugendlichen leiten ihren Stamm selbst.
Der christliche Aspekt bleibt den neuen VCPern natürlich nicht verborgen, denn immerhin halten sie ihre Gruppenstunden in einem Raum in der Kirche ab und helfen dem Pfarrer ab und zu schon mal beim Vorbereiten des Gottesdienstes. Doch wenn sie merken, daß sie „Missionare” für ihre Landsleute spielen sollen, dann ecken sie mit dem Pfarrer an. Schließlich gibt es in ihren eigenen Reihen genug Jugendliche, die die Kirche nur als Gebäude kannten, das im Dorf steht und an dem man die Uhr ablesen kann. Die meisten wissen zwar heute mehr über Kirche, Religion und Christentum als früher, viele können damit aber nicht viel anfangen. Wenn auf Landeslagern Andachten oder Gottesdienste abgehalten werden, dann geht eben nicht jeder hin, manche üben „vornehme Zurückhaltung” – das wird akzeptiert, es gibt keine langen Diskussionen deswegen. In der Runde gibt es aber auch andere Ansichten, manche sind von Religion und Christentum überzeugt, können sich, so sagen sie, mit den Inhalten identifizieren. Sie wissen, daß Glaubende in der ehemaligen DDR nicht gern gesehen waren, und verstehen, wenn manche ihrer Freunde nicht an Gott glauben wollen oder können.
Ich konnte mir – ehrlich gesagt – gar nicht vorstellen, was die Jungs mir da so erzählten. Aber wie sollte ich auch. Wir werden ja damit groß. Unsere Eltern und Großeltern sind (zumeist) Christen, wir haben die Möglichkeit, den Religionsunterricht zu besuchen, wir wurden informiert über das, was in den „Gebäuden mit Uhr” so abläuft. Wir haben kaum die Möglichkeit zu wählen. Erst wenn wir älter sind, machen wir uns Gedanken über Religion und deren Inhalte. Taufe und Konfirmation haben wir dann bereits hinter uns. Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern haben vielfach erst nach der Wende Kontakt zur Religion aufgenommen, sie können wählen. Und wie immer sie sich entscheiden, wir sollten es respektieren.
Sebastian, genannt Seppel, ist heute Mitglied im VCP. Weil es für ihn darauf ankommt, daß er ein Pfadfinder ist, und dagegen ist das „C” eben „das kleinere Übel”.

Annegret Bernhardt, Auf neuem Pfad, 1/1996